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Krise der Luftfahrt
Von Otto Habsburg I i
Ueberall in.der Welt tritt an die Flug¬
linien eine wichtige Entscheidung heran.
Nach dem gewaltigen Aufstieg der letzten
Jahre wird das Problem der Erneuerung
des Materials immer drangender.
Die groBe Mehrheit der heute im Dienst
stehenden Flugzeuge muB ersetzt werden,
wenn man. konkurrenzfahig bleiben. will,
Das gilt ganz. besonders fiir unsere alten
Propellerflugzeuge, die schon heute bei
vielen Passagieren AnstoB erregen. Die
Versuchsfliige der , Concorde" verkiinden
ter dem _ britisch-franzésischen Prototyp
rückt schon.eine ganz neue Generation her¬
an, die aus den Boeing-Werken kommend
voraussichtlich . die . vorherrschende Type
der nachsten Jahrzehnte sein wird. Auf der
Linie konventionellerer Diisenflugzeuge
kommt der Jumbo, der den Weg zum ech¬
ten Massentransport eréffnet.
All das verlangt schwierige, um nicht zu
Sagen gefahrliche. Entschliisse. Die wachsen¬
den Kosten der Herstellung erhdéhen ge¬
. waltig: den Preis der neuen Investitionen.
Das Risiko ist groB, da-uns die Erfahrung
lehrt, daB die Schwachen des Materials sich
in der Regel erst nach langerem Gebrauch
zeigen, Trotz wissenschaftlicher Fortschritte
mu8 man sich hier noch immer auf das
menschlich-intuitive Urteil vérlassen. 9”
.. . Uebergangsperioden, wie diejenige, die
wir jetzt.erleben, verlangen ein Ueberden¬
ken des ganzen Systems. Man muB. den Bo¬
dendienst, die Flugplatze und den Trans¬
port von Stadtmitte zum Start den neuen
Gegebenheiten anpassen. Dariiber hinaus
entsprechen unsere Organisationsformen
nicht mehr den Geboten der Stunde. Die
europdischen Luftlinien konkurrenzieren
sich weiter auf den gleichen Strecken, Wir
geben den Eindruck, im Pionierzeitalter zu
verharren, wáhrend die Fliegerei bereits
ein wichtiger Faktor der Gesamtwirtschaft
geworden ist. Das gilt auch vor allem ‘fiir
den Versuch. kleiner Linien unbedingt nach
New York zu fliegen, ohne die Mittel zu
haben, mit den gréBeren Gesellschaften
wirksam in Wettbewerb zu. treten. Noch
vielmehr ist das allerdings der Fall, wenn
als letzter, Flugplatz ein Ort gewahlt wird
— z. B. Briissel für die AUA —, von dem
jedermann wissen sollte, dab dort kein Ge¬
schaft zu holen ist. .
Wir kritisieren die Entwicklungslander,
die im Stahlwerk das Status-Symbol ihrer
Unabhdngigkeit sehen und sich daher rui¬
nieren, indem sie lebensunfahige Betriebe
bauen. Wir sind aber in Wirklichkeit kei¬
neswegs -kliiger. Ein jeder unserer Staaten
scheint zu glauben, er miisse unbedingt eine
nationale Luftfahrtlinie unterhalten. Tat¬
sache ist, daB eine Mehrheit ‘der euro¬
pdischen Gesellschaften sich nicht. aus eige¬
ner Kraft erhalten kann. Jede von ihnen
schleppt mit sich ein gewaltiges Defizit,
welches aus Steuergeldern unter Berufung
auf. das nationale Prestige gedeckt wird.
So werden tatsdchlich jedes Jahr hunderte
von Millionen. unproduktiv vergeudet,
wahrend diese Summen weit nutzbringen¬
der in Forschung und Entwicklung angelegt
werden k6énnten.
In Wirklichkeit kann nur eine geringe
Anzahl internationaler Fluglinien — drei
bis vier — wirtschaftlich in Europa arbei¬
ten. Zu diesen kamen noch die lokalen Zu¬
bringerdienste — etwa nach dem Muster
von Air Inter in Frankreich. GroBe Zusam¬
menschliisse sind daher geboten. Die Ein¬
zelstaaten sollten endlich genug Verstand¬
nis haben, einzusehen, daB sie jenseits der
Grenzen unseres Erdteiles nur durch die
Europa-Flagge wirksam vertreten werden
k6nnen.
Wir hatten seinerzeit das Projekt von
Air-Union, — ein logischer und einfacher
Gedanke, der auSerdem wirtschaftlich ver¬
nunftig war. Man hat ihn aus eng-nationa¬
listischen Erwagungen aufgegeben. So hat
man indirekt die -amerikanische Herausfor¬
‘derung . gestiitzt, da- die Neue Welt ihre
Wirtschaft nicht mit unproduktiven Aus¬
gaben belastet, die wir aus kleinlichem
Chauvinismus noch immer weiterfiihren.
Wenn Europa und in ihm Oesterreich
auch in den kommenden Jahrzehnten am
internationalen Wirtschaftsleben und am
weltweiten Transportsystem teilnehmen
will, wird man scion bald einen Entschlu8
fassen miissen. Die heutige Uebergangs- |
periode ist dafiir ein qiinstiger Augenblick. |
‘Aber man darf keine Zeit mehr verlieren. |