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1969

c Mon Otte Habsburg ¬

Mortien; Sonntag, beginnt ‘die Europa¬
reise des neuen Prasidenten der Vereinig¬
ten Staaten. Die Art ihrer Durchfiihrung
weist Charakteristiken auf, die, erlauben,
Folgerungen beziiglich der. zukiinitigen, Po¬
litik des WeiBen Hauses zu ziehen. ,

An erster Stelic ist die Wahl des: Da¬
‘tums. Schon einen Monat: ach seinem
Amtsantritt verlaft Prisident Nixon. sein
Land. Dies ist néu. Auch: dadurch ‘unter¬
streicht er die. Bedeutung des Erdteijes, den
er besucht. Nixon will der .genzen Welt
zeigen, daB: seine Aufienpolitik aus die Zu¬
sammenarbeit mit Europa abgericatet , ist
und daf von jetzt ab das Weifie Haus
Asien nur an zweiter Stele berticksichtigen
wird.

Die Finzelheiten der Reise zeigen einen
Takt und eine psychologische -Ein‘ihlungs¬
gabe, an die man nicht immer, geyShnt war.
Die Wahi ‘von Briissel, der Hauptstadt "des
Geiieinsamen Marktes, als erstem Aufent¬
haltsort . ist, gliiddich. Bemerkenswert., ist
auch die Planung des Besuches -in London,
um, ohne die Empfindlichkeiten tibermaSig
zu verletzen, darauf hinzuweisen, da8 fiir
den °US8-Prasidenten Grofibritannien ein
europdisches' Land wie -jedes andere und
nicht ein bevorzugter | Verbiindeter’ ist. Das
Programm .in Bonn dient der. Beruhigung
der Deutschen in diesen ‘Tagen. der Sorgé
um Berlin. Noch befriedigender, ist .der.dop¬
pelte. Aufenthalt .in Rom:. der. besondere
Flug, um den Papst zu begriiBen, sticht an¬
genehm von der iritheren Gepflogenheit ab,
den: Vatikan zwischen Tiir und Angel in¬
mitten, einer tiberstiirzten Reise sozusagen
' als einen Nachsatz ins Programm aufzuneh¬
men. Die Apotheose.in Paris:schlieBlich zeigt
klar, daB Nixon entschlossen ist, ein neues
Beginnen mit Frankreich und General de
Gaulle zu suchen. Diese Geste unterstreicht
die Bedeutung des Landes im Laufe der
Ereignisse, die nunmehr beginnen werden.

Nebst diesen symbolischen und diploma¬
tischen Einzelheiten haben wir die Worte
des Prdsidenten, der groBes Gewicht darauf
legt, mit einem geeinten Europa bei den
bevorstehenden Verhandlungen mit dem
Kreml zusammenzuarbeiten. Dies ist gleich¬
zeitig ein Aufruf und eine Herausforde¬
rung, von der die. Europáer Kenntnis neh¬
men miissen.

- Die grofe Eile der Reise Nixons zeigt,

beiden Supermdchte herannaht. Seit der
Explosion der. chinesischen Wasserstoff¬
bombe über der Wiiste Lop Nor am 27. De¬
zember 1968 haben die besten politischen
Beobachter darauf hingewiesen, da8 dieses
Ereignis die internationale Entwicklung be¬
schleunigen wiirde. Die Russen haben keine
Zeit mehr zu verlieren, und die Amerika¬
ner: sind nicht besonders interessiert, die
Aussprache’ hinauszuschieben. Man - mu8
demnach kein groBer Prophet sein, um zu
wissen, daB die vorbereitende Phase der
zukiinftigen Gesprache bald nach der Heim¬
kehr Président Nixons beginnen wird.

Es. ist: unvermeidlich, daB. im Verlauf
der amerikanisch-russischen “Verhandlun¬
gen europdische Fragen auf das Tapet kom¬
men. Die Entscheidungen, die fallen wer¬
den, kénnen das Schicksal der jungen Ge¬
neration bestimmen. Was auf uns zukommt,
ist nicht weniger bedeutend als die Ver¬
handlungen von Jalta im Jahre 1945, Um
bei einem solchen Gipfeltreffen gehért zu
werden, mufi. die Alte Welt einig sein, zu¬
mindest im engen Rahmen Westeuropas.
Das ist offensichtlich Nixons Wunsch. Hier
liegt der Hauptzweck dieser Reise, von
der man schon jetzt sagen kann, sie sei ein
geschichtliches Ereignis.

Fiir die Lenker Europas naht in diesem
Monat Februar des Jahres 1969 eine Stunde
gréBter Verantwortung. Das gewichtigste
Wort diirfte der Président der Franzdsi¬
schen Republik zu sprechen haben. Dieser

hat heute mehr denn je das Schicksal der
Alten Welt in seinen Handen. Darum wird
Nixon am langsten bei General de Gaulle
verweilen. Die Vélker Europas haben das
Recht zu erwarten, da8 der Mann, der in
der kritischsten Stunde des Zweiten Welt¬
krieges mutiger, geschichtlicher Entschliisse
fahig war und damit sein Land rettete,
diese einmalige Gelegenheit nicht vorbei¬
gehen lassen wird, Ihm ist es gegeben,
heute nicht nur die Zukunft Europas, son¬
dern auch diejenige seiner engeren Hei¬
mat zu sichern. Denn Frankreich kann man
in der Zeit der Interkontinental-Rakete und
der planetaren Wirtschaft, nicht mehr un¬
abhdngig von seinen Nachbarn betrachten: