OCR Output

Ve

Die vierte grofe
Finanzkrise
Von Otto. Habsburg

"Mit ersdiretkendér Regelmágigkeit tritt
in den Landern des nérdlichen Wohlstands¬
"gürtels alle sechs Monate eine gréBere in¬
ternationale Finanzkrise ein. Im November
1967 muBte das Piund abgewertet, werden.
(Im Marz 1968 hatten wir die Gold-Krise.
‘Im November 1968 wurde der franzésische
Franc nur in letzter Minute durch die Ener¬
gie General de Gaulles vor der Katastrophe
bewahrt. Anfang Mai 1969 brach dann die,
nunmehr schon erwartete, Friithjahrskrise
herein, die diesmal eine ganze Reihe Wah¬
rungen, einschlieBlich des geschwdchten
franzésischen Francs und der angeblich zu
reichen Deutschen Mark unter schweren
Druck setzte. Dank technischer. MaBnahmen
und der Standhaftigkeit von Minister Franz
Josef Strau8 ist zeitweilig eine unsichere
Ruhe eingetreten.

Tatsachlich, haben wir wieder einen Fall
von. Krebsbehandlung mit Aspirin erlebt.
Man hat das Fieber fiir kurze Zeit herun¬
tergedriickt, aber nichts getan, um die Wur¬
zel des Uebels zu ‘behandeln. Wie vor
einem halben Jahr kann man schon heute
sagen, dab alle Elemente des kommenden
Schwacheanfalles beyeits vorhanden sind.
Die einzige Frage ist nur, wo und bel wel¬
cher Wahrung sich die: internationale Un¬
ene das nachste Mal auswirken wird.

. Natiirlich , hat man wieder den alten
Buh-Mann, . die’ angebliche . Spekulation
dunkler Krafte, strapaziert. Das ist ein Un¬
sinn, den nur jene glauben werden, die
von Geld nichts verstehen. In. der: heutigen
Weltwirtschait gibt es keine : privaten
Kreise mehr, die groi und miachtig genug
sind, eine gesunde Wáhrung zu erschiittern.
Tritt dies aber ein, dann ist es héchste Zeit,
das System als solches auf seine Unzuling¬
lichkeiten zu_untersuchen, nicht aber sich
auf einige Spekulanten in Beirut, Züridi
oder Dubai. auszureden.

Wie schon mehrfach in" dieser "Chronik
ausgeführt, ist unser Weltfinanzsystem
hoffnungslos veraltet. Was vor Bretton
Woods. unter volikommen verschiedenen
Bedingungen beschlossen wurde, pa8t nicht
mehr in die dynamische Wirtschaft des
Jahres 1969. Es ist einfach unverantwort¬
lich zu versuchen, den Preis des: Goldes
auf seinem Niveau von 1935 zu belassen.
Man kann nicht durch biirokratische Verfii¬
gung starre Wechselkurse festsetzen und
halten. Niemand wird heute ernstlich be¬
haupten können, daf das Píund Sterling
noch krditig genug isi, um eine Reserve¬
wahrung zu sein. Was da, noch heute ge¬
schieht, könnte mit dem Versuch verglichen
werden, einen Sessel auf nur zwei Beinen,
die noch dazu verschieden lang sind, ste¬
hen zu lassen. ,

eed uz

Daraus ergibt sich, da8 eine Reform des
ganzen Weltfinanzsystems unerlaBlich ist.
Geschieht dies nicht, müssen wir mit immer
haufigeren und immer schwereren Krisen
rechnen. Man hat diesbezüglich nicht ein¬
mal die Ausrede, von unvorhergesehenen
Dingen überrascht zu werden. Denn schon
vor Jahren, als noch alles ruhig schien, ha¬
ben bekannte Nationalökonomen wie der
Belgier Fernand Baudhuin oder "der Fran¬
zose Jacques Rueff bis in die Einzelheiten
den -Ablauf der Ereignisse vorhergesagt.
Heute wiirde man gut daran tun, nicht nur
ihre Analysen, sondern auch ihre prakti¬
schen Vorschlage fiir eine Lésung: nachzu¬
lesen. A

Wir brauchen in nüchster Zeit — also
noch vor der kommenden Krise — eine in¬
ternationale Wahrungskonferenz. Nur eine
solche kann dauernde Abhilfe schaffen, da
es sich um grundlegende Reformen han¬
deln wird, die die Zustandigkeit der No¬
tenbanken iiberschreiten. Verharren aber
die Machte wieder in Untatigkeit, dann ist
ernstliche Gefahr im Verzug. Niemand
kann nümlich mit Sicherheit sagen, wann

‘eine Geldkrise zu einer Wirtschaftskata¬
strophe fiihrt.

Man glaubt, wir kénnten uns die gegen- |
wirtigen Wechselkursschwierigkeiten lei- |
sten, weil in einer aufstrebenden Wirt- ;
schaft der einzelne nicht oder nur wenig |
von angeblich technischen Fragen. berührt
wird. Die Geschichte lehrt uns aber, da8 |
nur zu leicht eine Wirtschaftsstr6mung um¬
schlagen kann, wodurch dann alle, insbe- !

betroffen werden. Es ware vermessen, sich
einzubilden, dab SchlieBung der Banken, |
Zusammenbruch von Unternehmungen und
Arbeitslosigkeit unméglich geworden sind. |
Sie kénnen nur durch sachgemafe und
rechizeitige MaSnahmen verhindert wer¬
den. Wir haben also keine, Zeit mehr zu
verlieren.