Louis Armand, einer der besten Képfe
| unserer Zeit, hat schon seit mehreren Jah¬
: ren . die "Forderung" nach einer ,Selektiven
Integration" erhoben. Er meint damit einen
übernationalen - ZusammenschluB . vorerst
auf besonders. vielversprechenden Gebieten,
-bevor-man zu jener allgemeinen Lösung ge¬
langen kann; die für Europa im planetaren
Zeilalter unumgdanglich notwendig ist. ;
Die neuere Geschichte rechtfertigt diese
Auffassung. Alles, was wir in Europa seit
‘dem. Zweiten Weltkrieg. erreicht haben,
verdanken wir Robert Schuman, dem . Vater
der Kohle- -und Stahlgemeinschaft.. Der
franz6sische Staatsmann hatte 'verstanden,
da8:im-Elend der Nachkriegszeit der Anfang
im damals Wesentlichsten gemacht werden
müsse. ‘Alles andere würde" daraus folgen.
Er hatte recht, denn die grofen Integratio¬
nen, wie Gemeinsamer' Markt, Europdische
Freihandelszone, ihre sdmtlichen Unteror¬
‘ganisationen — nicht zu vergessen, so para¬
dox dies auch klingen-mag, der kommuni¬
stische COMECON — .waren das -direkte
Voder indirekte Ergebnis séines Entschlus¬
ses.
Die gegenwartige Verlangsamung: der
europdischen Entwicklung folgt der: schritt¬
weisen Erschopfung:dieses ersten AnstoBes.
Die Kohle hat ihre Bedeutung weitgehend
eingebuBt; auch "Stahl mu8& zunehmend
seine Fiihrungsstellung in. der , Wirtschaft
raumen. ; pig ice
Eine neue Initiative ist demzufolge von¬
nöten. Sie sollte die bereits bewahrte Vor¬
gangsweise zum Muster nehmen. Demzu¬
folge ist:es geboten; in den entscheidenden
Sektoren der zukiinftigen Wirtschaft eine
Gemeinschaft der Interessen zu suchen, um
so die Integration zu ermdédglichen. Der
Schuman-Plan war erfolgreich, weil er mehr
oder weniger die Bediirfnisse der Mitglied¬
staaten ausglich. Das ist auch der Grund,
warum eine zielfiihrende Fdéderalisierung
nicht nur auf ein einziges Gebiet be¬
schrankt werden kann.
In unseren Tagen ist das wichtigste An¬
liegen der Zusammenschlu8 von Forschung
und Entwicklung, also das technologische
Europa Leider ist dieses bereits zu sehr der
Gegenstand politischer Intrigen geworden.
Daher die Notwendigkeit, zumindest zeit«
weilig nach einem anderen Feld Ausschau
zu halten.
Nebst der Technologie erscheinen zwei
Problemenkreise entscheidend fiir die kom¬
menden Jahre: Wasser und Verkehr.
Europa nahert sich einer Wasserkrise.
Der Verbrauch erreicht jenen Punkt, an
dem in den industriellen Gebieten, wo
schon heute die Versorgung ungeniigend
ist, echter Mangel auftreten wird. Die letz¬
ten groBen Reserven des Erdteiles befin¬
den sich in den Alpen — besonders in
Oesterreich und der Schweiz — sowie in
Skandinavien, vornehmlich in Norwegen.
Auf dem Gebiete des Transportwesens
befinden wir uns in einer Zeit der Umstel¬
lung. Das Flugwesen erlebt eine ebenso
plétzliche wie kostspielige Entwicklung.
Die Eisenbahnen andererseits werden nur
dann zweckentsprechend arbeiten können,
wenn eine: wirkliche Erneuerung des Ma¬
meinsame Planung der Schienen-, Luft- und
StraBentransporte nach Gesichtspunkten
strenger Wirtschaftlichkeit erfolgt ist. Auf
diesem Gebiete ist heute Europa noch im¬
mer nahezu chaotisch, da die Programme
meist nach nationalen Gesichtspunkten er¬
stellt; werden und der Markt demnach nach
vorgestrigen Vorstellungen geleitet wird.
Wir kritisieren die Entwicklungsldnder,
weil sie Stahlwerke als auBeres Zeichen
ihrer jungen Unabhangigkeit erbauen wol¬
len; dabei‘muB aber ein jeder unserer Staa¬
den daher an einem gewaltigen Verkehrs¬
defizit, welches die Wirtschaft unberechtigt
schwer belastet,. ausgerechnet in. einer Zeit,
in der wir dringend mehr Kapital fiir die
uetwensiite Investitionen brauchen wiir¬
en.
Die Lander Europas mit den gréBten
Wasserreserven kampfen mit den ernste¬
sten Transportproblemen. Sie sind gebirgig;
demzufolge sind der Bau und die Erhaltung
ihrer StraBen.und Eisenbahnen besonders
teuer. Sie waren daher. die gréBten Nutz¬
nieBer einer Europaisierung oder Féderie:
rung der Verkehrsmittel, wáhrend die In¬
dustriestaaten in den Ebenen den Vorteil
eines integrierten Wasserverteilungssy:
stems hatten.
Es erscheint daher, daB zu unserer Zeit
Wasser und Verkehr die Rolle tibernehmer
kénnten, die vor zwéi Jahrzehnten Kohle
und Stahl zufiel. Die Schaffung einer Was¬
ser- und Verkehrsgemeinschaft würde dér
wirtschaftlicien Einigung Europas neue,
kraftige Impulse geben. Sie wiirde erlau¬
ben, zeitgerecht jene Umstellungén und ‘In¬
vestitionen: vorzunéhmen, die notwendig
Gebraucht werden eine Regierung oder ein
Staatsmann, die den -Mut. aufbringen, die
notweéndige Initiative zu ergreifen. Warum
sollte diese nicht von -Oesterreich aus¬
gehen?