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Wie elle 6 69 | | Der neue Mann an der Spitze Frankreichs Von Otto Habsburg Die Wahl von Georges Pompidou zum Prdsidenten Frankreichs er6éffnet einen bedeutenden Abschnitt in der Geschichte dieses Landes und Europas. " Einmal mehr hat sich die innere Stabilitát Frankreichs gezeigt, Diese ist eine allzuoft verkannte geschichtliche’ Tatsache. Zur Zeit der Dritten Republik, in der Miniglichenen Zeit kein so arges Unheil war — hatte die Radikale Partei, mit ihren festen gesellschaftlichen. Grundlagen, die Schliisselstellungen praktisch aller Regierungen von 1883 bis 1940 inne, Die Vierte Repuweil .sie, neben dauerndem Regierungszialisten, aus’ iirem laizistischen -Gheito auszubrechen, war das Regime zwischen 1946 und 1958 gerade. zu einer Zeit gelahmt, in der zielbewuBte Handlung unumganglich totwendig yewesen ware. Das war der el.tscheidende Grund fiir das Entstéhen de$-Gaullisrius. Der General war heit und seinem Scharfblick fiir die ProbleKontinuitat in seinem Lande. phy Auf diese Weise gelang es Prasident re friiher Léon Gambetta ‘gemacht hatte. Der Mann, den man als den Vater der Dritten. Republik bezeichnet, hinterlie8 dieser eine Partei mit fester Fundierung in den tragenden gesellschaftlichen Schichten und mit einem sehr anpassungsfahigen Programm. Auch der Gaullismus hat nur einige gemeinsame Grundsatze und ist in der entscheidenden Berufsgruppe von morgen, dem industriellen und technischen Mittelstand, verwurzelt. So ist die Fiinfte Republik durch Manner verschiedensten Ursprunges getragen, auf.die die alten Begriffe ,rechts"” oder ,links" nicht mehr passen. Herr Jacques Duclos, der Führer der Kommunisten, hat das Duell Pompidou— Poher mit dem Kampf zwischen Demokraten und Republikanern in. Amerika verglichen. Das ist wenig erstaunlich zu einer Zeit, in der ideologische Parteien ihre Bedeutung weitgehend eingebii®t -haben. Die neue Bekraftigung der franzésischen Stabilitat wird sich im internationalen Leunseren Erdteil und den Frieden gefahrlicher gewesen als ein geschwachtes, unzuverlassiges Frankreich. Herr Pompidou war immer ein Anhanger der Einigung Europas. Er will einen unabhdngigen Erdteil, der sein Schicksal selbst bestimmt und mit seinen beiden mdchtigen Nachbarn, Amerika und RuBland, in Freundschaft: und’ Einvernehmen lebt. Er hat im Wahlkampf seine Treue zum amerikanischen Biindnis klar herausgestellt, aber er will auch ein Europa, das seine Verpflichtungen jenseits der YaltaLinie nicht vergi8t. Der Erdteil soll nicht gegen die Supermdchte organisiert werden, sondern sich auf einem positiven Programm finden — also ein europdisches Europa, ein Begriff, der nur zu oft von trdumerischen . Atlantikern miBverstanden wurde, : “Se Die beste Garantie. fiir die Zukunft ist auBerdem das Auftreten, an der Seite des neuen Prdsidenten, von zwei hervorragenden Européern — Valérie Giscard d'Estaing und Georges Duhamel. Diese Manner werden dariiber wachen, daB das neue Beginnen, welches wir nach den deutschen Wahlen erwarten diirfen, unter den giinstigsten Bedingungen angegangen werde, In den schwierigen Zeiten der Krise des Gemeinsamen Marktes, - als gewisse Politiker ein Europa ohne Frankreich aufbauen wollten, hat der Vater des PanEuropa-Gedankens, Coudenhove-Kalergi; gesagt: ,Europa mit Frankreich zu schaffen ist nicht leicht — ohne Frankreich ist es unmöglich." Die Ereignisse haben die Richtigkeit dieser klugen Worte bekraftigt. Nunmehr ist es an den Européern, die sich ergebenden Chancen voll und ganz zu nuitzen.