Es ist eine Eigentümlichkeit der gegen¬
wartigen Diskussion um den Atomsperr¬
vertrag, daB sie meist nur über dessen si¬
cherheitspolitische Bedeutung gefiihrt wird.
Dabei gibt es andere Gesichtspunkte, die
zumindest : ebenso beherzigenswert sind.
Denn das Abkommen in seiner jetzigen
Form hat mit Abrüstung nur sehr indirekt
zu tun, wahrend es im Wesen vor allem
darauf hinzielt,. ein wirtschaftliches. Welt¬
monopol der friedlichen Nutzung der Kern¬
energie .zugunsten der Supermashte’ zu
schaffen.
Eine der wichtigsten, meist ,vergesse¬
nen" Auswirkungen des : Nichtweitergabe¬
Vertrages. betrifft Europa und die Bestre¬
.bungen, den Erdteil zu einigen. Es stellt
sith namlich unweigerlich die Frage, ob
man nach einer Ratifikation-sich tiberhaupt
noch Hoffnungen auf weitere Integrationen
machen darf.
‘Hier scheint dás" hochst’ ‘doppeldiniige
Wort ,indirect controls” in Artikel III Be¬
| deutung zu haben. Dieses kann ebenso Kon¬
_trolle wie. auch Befehlsgewalt heiSen und
ist. durch. das. Beiwort ,indirect” auf so
ziemlich alle. Gebiete anwendbar. Sowje¬
tische Persénlichkeiten haben bereits ange¬
deutet, daB sogar eine Verbindung zwi¬
schen einem atomaren und nicht-atomaren
Staat unter den Vertrag fallen könnte, da
eine solche méglicherweise irgendwann zu
einer Uebertragung von. Massenzerstd¬
rungswaffen fiihren kénnte. Es handelt sich
also um einen typischen Kautschuk-Para¬
‘graphen, der RuBlánd die. Handhabe lie¬
"fert, europdische Verstaéndigungen ‘mit den
-Atommachten England oder Frankreich zu
behindern.
Noch schwerwiegender als diese Beden¬
ken ist jedoch die Tatsache, daB der Sperr¬
vertrag die Schaffung eines technisch-wis¬
senschaftlichen Europas,. sogar einer For¬
schungsgemeinschaft, unmdglich -machen
‘kann. Die Industrien und Laboratorien der
vatomaren Habenichtse werden nach Inkraft¬
‘treten des Vertrages ‘der internationalen
Inspektion unterworfen werden, was Zzu¬
mindest das Forschungsgeheimnis ernstlich
in Frage stellen wird. Da andererseits die
nuklearen Staaten Europas — England und
Frankreich — nicht inspiziert werden kön¬
nen, ist es schwer denkbar, da8 sich diese
mit Nachbarn zusammenschlieBen, deren
Erfindungen modglicherweise ihren gefahr¬
lichsten Konkurrenten, den Supermdchten,
zur Kenntnis kommen könnten. Damit ware
der Weg zum technologischen Europa ver¬
sperrt, welches bei weitem die beste Hoff¬
nung fiir ein Ueberwinden der Wirtschafts¬
blécke darstellt.
SchlieBlich kann man vorhersagen, daB
nach Inkrafttreten des Vertrages eine mas¬
sive Auswanderung der Wissenschaftler
und Spitzentechniker der kontrollierten
Staaten einsetzen wird. Kein Erfinder oder
Pionier sieht.es gerne, wenn andere seine
Entdeckungen ohne Gegenleistung erfah¬
ren. Schon heute beklagen wir uns über
unseren geistigen Substanzverlust; dieser
wiirde aber unter dem Sperrvertrag zu
einer wahren Polarisation des Wissens fiih¬
ren. Einer der gröbten NutznieBer der Ent¬
wicklung nebst Amerika ware zweifellos
| Frankreich, dem über kurz oder lang die
, Hegemonie: in Europa. zufallen müBte. Es
ist ein schlüssiger Beweis der europaischen
Gesinnung von Paris, daB dieses, im Ge¬
gensatz zu London und unter Zurtickstel¬
lung eigener. eng-nationaler Interessen, den
Vertragsentwurf bekampft. Das sollten sich
jene Europáer vor Augen halten, die syste¬
matisch nur das Schlechte bei den Franzo¬
; sen suchen und von deren Leistungen ein¬
fach keine Kenntnis nehmen wollen.
Die hier aufgefiihrten Tatsachen, denen